a memberIch wartete sehr lange und drehte mich dann wieder um. Ich musste doch mal nachschauen, ob sie noch da war…! Und sie war da. Sie saß immer noch auf der Bettkante und schaute zurück.
Ich war verwirrt, überrascht.
„Sag bitte was…!“ flehte ich „Ich will wissen, was Du denkst!“
Nach einer Pause sagte sie leise: „Ich hatte schon länger so ein Gefühl, dass Du anders bist… dass du…“ „Ja..?“ „Na ja, dass du deinen Freund Peter…. sehr sehr gerne hast.“
Ich merkte sofort, dass sie das Wort „liebe“ vermied. Ich blieb aber ruhig und wartete weiter.
„Bist du denn glücklich mit ihm?“ „Ähm…“ diese Frage hatte ich noch nicht erwartet „…also ja. Ich habe ihn sehr lieb und er mich wohl auch. Wir…. verstehen uns prima! Aber…“ ich suchte nach der passenden Formulierung… „wir haben beide sehr viel Angst, dass das herauskommt und ich hatte ganz große davor, was Du und Papa dazu sagen wirst…!“
„Papa?“ Sie schaute aus dem Fenster als wolle sie dort irgendwo eine Antwort finden „Papa darf das nie erfahren!“ Ihr Blick, mit dem sie mich nun anschaute zeigte traurige Züge. Ich konnte mir denken, was ihr durch den Kopf ging. Wenn das Papa erfährt, dreht er durch. Er wird das nicht wahrhaben wollen. Er hält Schwule für Kranke und Behinderte und Armselige, denen nicht zu helfen ist und die man „ausrotten“ sollte. Schwul war gleichgesetzt mit Kinderschänderei, mit anormalen Sexpraktiken und ganz allgemein mit völlig „unmännlich“! So ähnlich hatte ich ihn mal mit Freunden bei uns zu Hause gehört, als im Nachbardorf ein „Vorfall“ geschehen war. Was das damals im Einzelnen war, habe ich nie erfahren, aber es muss wohl ein homosexuell orientierter Mann involviert gewesen sein.
„Papa darf das nie erfahren!“ Mama wiederholte sich. Langsam und deutlich in der Aussprache und schaute mich dabei eindringlich an.
„Aber wie soll ich denn leben? Muss ich mich immer verstecken? Darf ich nicht meine Liebe zeigen? Wie geht das weiter….?“ Ich drehte mich wieder um, verbarg erneut mein Gesicht im Kissen und wollte so verhindern, dass sie sah, wie mir die Tränen wieder in die Augen schossen.
„Wenn das herauskommt…“ meine Mutter sprach weiter „sind wir hier erledigt. Dann werden wir unsere Freunde verlieren und vielleicht Papa seine Arbeit!“ Als sie schwieg, dreht ich mich zu ihr und sah, dass sie ihr Gesicht in ihre Hände gelegt hatte und ich spürte, dass auch sie weinte.
Ich legte eine Hand auf ihre Schulter. „Mama, warum weinst du denn?“ Sie antwortete nicht gleich „Weißt du….“ sie schluchzte „Mein größter Wunsch war immer und bleibt es auch, dass Du ein glückliches Leben führen kannst. Und das bezieht sich nicht auf Geld, sondern auf eine gute Bildung, dein Abitur, vielleicht dann auch ein Studium…!“
„Und… Gefühl gehört nicht zum Glück?“ Sie nahm ihre Hände vom Gesicht und schaute mich an „Aber natürlich – ganz ganz bestimmt! Und deshalb verspreche ich Dir, dass ich zu Dir halte und Dich liebe mit allem, was Dich glücklich macht. Und….“ sie griff sich mit der einen Hand durch ihr Haar als wolle sie bei dem, was nun folgte, gut aussehen „..wenn Du es mit Peter bist, dann…bin ich auch glücklich!“ Jetzt umarmte ich sie ganz und wir beide ließen unseren Tränen freien Lauf.
Heute weiß ich nicht mehr so genau, was für meine Tränen mehr verantwortlich war: Dass ich es endlich gesagt hatte und meine Mutter „eingeweiht“ hatte oder meine Mutter selbst, die zu meiner Überraschung so viel Verständnis zeigte und mich nicht – wie ich es in meinen schlimmsten Träumen befürchtet hatte – „verstoßen“ oder mich zu einem Arzt oder einem Pfarrer geschickt hatte, damit er mich von diesem „Übel“ erlösen möge...