squirrl88 yrs(aub) Die Oldenburger Kohlfahrt, eine jahrhundertealte Tradition, ist weit mehr als nur ein geselliges Beisammensein im Winter. Seit über 150 Jahren zieht es Einheimische und mittlerweile auch Städter aufs Land, um dem Alltag zu entfliehen und den Grünkohl, das norddeutsche Wintergemüse schlechthin, zu genießen. Die Geschichte der Kohlfahrten ist tief in der Region verwurzelt und bietet einen spannenden Einblick in die Kultur und Gemeinschaft des nordwestlichen Niedersachsens.
Ursprünge und Geschichte
Die Anfänge der Kohlfahrten lassen sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Die erste dokumentierte Kohlfahrt fand am 15. Januar 1871 statt und wurde vom Oldenburger Turnerbund (OTB) organisiert. Diese Veranstaltungen, ursprünglich als „Turnfahrten“ bekannt, kombinierten das Wandern mit körperlichen Übungen. Der „Turnvater Jahn“ war ein Vorreiter dieser Bewegung, die in der Romantik bedeutend war, um der städtischen Enge zu entfliehen und die Natur zu genießen. Über die Jahre entwickelte sich die Kohlfahrt zu einem gesellschaftlichen Ereignis, das bis heute jährlich zahlreiche Menschen zusammenbringt.
Der Ablauf einer Kohlfahrt
Die typischen Kohlfahrten beginnen oft mit einer Wanderung durch die winterliche Landschaft. Dabei darf der Bollerwagen, beladen mit Snacks und Getränken, nicht fehlen. Neben dem Grünkohlessen, das den Höhepunkt jeder Kohlfahrt bildet, sind Spiele ein fester Bestandteil des Programms. Vom klassischen „Boßeln“ bis zu ungewöhnlichen Wurf-Wettbewerben, bei denen Gegenstände wie Gummistiefel oder Teebeutel über das Land fliegen, ist alles dabei. Diese Spiele fördern die Gemeinschaft und sorgen für viel Spaß und Unterhaltung. Am Ende jeder Kohlfahrt wird das neue Kohlkönigspaar gekrönt, das für die Organisation der nächsten Tour verantwortlich ist.
squirrl88 yrsWo die Kohltour zur Tradition wurde
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Als am 15. Januar 1871 eine Gruppe Männer unterschiedlichen Alters „bei leichtem Frost und hellem Sonnenschein“ beschloss, eine Winterwanderung Richtung Wiefelstede zu machen, ahnte sie sicherlich nicht, was sie damit lostreten würden: Über hundertfünfzig Jahre später können wir uns in der Hochsaison zwischen November und Februar kaum noch vor Kohltour-Angeboten retten.
Spätestens seit 2010, als sich Oldenburg selbst den Titel „Kohltourhauptstadt“ verlieh, ist es mit dem Kohlfrieden – wenn es ihn je gab – vorbei. In einem Ausschnitt aus einer Kolumne zur Eröffnung der Kohltoursaison in der NWZ vom 20. November 1959 heißt es: „Blicken wir aber lieber in die Zukunft. Während die Weltraumforscher, während der Sputnikzismus zu schönsten Hoffnungen berechtigt und man sich allerorts auf eine Mondfahrt vorbereitet, was tun wir (die Oldenburger, Anm. d. Red.) da? Wir präparieren uns für eine oder mehrere Kohlfahrten. Dass wir als Metropole rundum von Landwirtschaft umgeben sind, daran erinnern wir uns besonders zur Kohlzeit.“
Doch um wen oder was dreht sich hier eigentlich alles? Natürlich um den Grünkohl (Brassica oleracea var. Sabellica L.). Eine schon lange, vor allem in küstennahen Siedlungsgebieten anzutreffende Nutzpflanze aus der Familie der Kreuzblütengewächse, die aufgrund ihrer Frosttoleranz auch im Winter als frisches Gemüse verfügbar und sehr vitamin- und nährstoffreich ist. Ausgesät wird der „Starkzehrer“ im Mai, am besten auf Geest- oder Sandboden; ernten kann man ihn ab Oktober, je nach Sorte. Dass er keinen Frost braucht, um genießbar, das heißt süß, mild und bekömmlich zu werden, ist mittlerweile bei den meisten angekommen. Früher wuchs er, beziehungsweise unterschiedliche Variationen von ihm, in vielen Hausgärten. Aus diesen wurde er für Mensch (Blätter) und Tier (Strunk) bei Bedarf geerntet.
Wer nach den Ursprüngen sucht, sollte sich den Helgoländer Wildkohl ins Haus holen. Der steht im Verdacht, ein (in)direkter Nachkomme des sizilianischen Wildkohls zu sein – dem „Urgrünkohl“. Die ses Gewächs, im Oldenburger Land früher bekannt als Brauner Kohl, ist Grundlage des Gerichts, das die Oldenburger zu ihrem „Nationalgericht“ auserkoren haben. Erst ab den 1930er-Jahren setzte sich die Bezeichnung Grünkohl durch. Über die Gründe kann nur gemutmaßt werden. Einer könnte der vermehrte Anbau von grünblättrigen Sorten gewesen sein.
Die erste „Kohlfahrt“ ging die Alexanderstraße entlang. Der eingangs erwähnte Männertrupp bestand aus Turnern (anfangs gab es noch keine Turnerinnen) des zu dieser Zeit erst 12 Jahre alten Oldenburger Turnerbunds (OTB). Sie beschritten an diesem Tag ihre alljährliche Winterturnfahrt, die sie über Metjendorf und Wiefelstede nach Rastede führte. Für die Strecke Oldenburg - Wiefelstede brauchten sie drei Stunden. Sie waren es gewohnt, weit größere Distanzen zu Fuß zurückzulegen. Das bewiesen sie regelmäßig bei ihren ausgedehnten Sommerwanderungen. In der Chronik des OTB wird eher nebenbei erwähnt, dass mittags „Kohl mit Schwein, Würsten, etc.“ auf dem Tisch stand („Sehr gut und billig.“). Das war zu dieser Jahreszeit nicht unüblich, denn „Eßparthien“ aufs Land waren im 19. Jahrhundert beliebt. Wer es sich leisten konnte und ein entsprechendes Fortbewegungsmittel hatte, machte sich sonntags auf zu den Gasthöfen der Umgebung. Einigen der besser gestellten Turner dürfte diese Tradition der Kohlessen vertraut gewesen sein. Bekannt ist auch, dass es bei der ersten Winterturnfahrt recht gesellig zuging, wozu die in einer Quelle verbürgte halbe Flasche Rotwein pro Person wohl einiges beigetragen hat. Wahrscheinlich war es gerade diese Geselligkeit, die alle in guter Erinnerung behielten, weswegen in den Folgejahren weitere Turnfahrten mit Kohlessen folgten, die bald als Kohlfahrten bekannt wurden.