Warum ich es liebe queer zu sein

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squirrl87 yrs
IM NORDWESTEN. (MAI) Juni ist der Pride-Monat. Der Monat also, in dem die LGBTQIA+-Community ihre Vielfalt und Freiheit feiert, aber auch auf fehlende Sichtbarkeit und Ungerechtigkeiten aufmerksam macht. Juni deshalb, weil im Juni 1969 in New York City die sogenannten Stonewall-Aufstände stattfanden, als die Polizei die Schwulenbar „Stonewall Inn“ auf der Christopher Street zu räumen versuchte. Daher kommt auch der Name des Demonstrationstags der queeren Community, Christopher Street Day (CSD).

Manchmal lese ich von Leuten, die sich fragen, warum der CSD überhaupt noch nötig ist. „In Deutschland wird doch keiner diskriminiert“, heißt es. Ich könnte meine Kolumne für Juni also dafür nutzen, diese Frage zu beantworten. Ich könnte all die gewalttätigen Übergriffe gegen queere Menschen aufzählen – zuletzt erst vor wenigen Wochen beim CSD in Hannover, als Steine durch die Luft flogen. Oder die diskriminierende Gesetzeslage beleuchten, die nicht zulässt, dass zwei Mütter ins Geburtenregister für ihr Kind eingetragen werden, und die trans Personen mit Misstrauen begegnet, wenn sie selbstbestimmt ihren Geschlechtseintrag anpassen wollen.

Ich könnte über all die Dinge schreiben, die zeigen, warum wir immer noch laut und sichtbar sein müssen und warum der CSD auch heute noch notwendig und wichtig ist. Aber kürzlich sagte jemand zu mir: „Schreib‘ doch mal über etwas Positives. Alles ist immer so negativ.“ Meine spontane Reaktion darauf war: „Ja! Es ist eben auch viel falsch in der Welt!“ Nach wie vor gibt es Ablehnung und Diskriminierung, Unwissenheit und Aufklärungsbedarf. Das mögen unglamouröse und negative Dinge sein, aber sie müssen besprochen werden.

Doch je mehr ich über die Kritik nachgedacht habe, desto mehr wurde ich mir bewusst, dass sie vielleicht stimmt. Es ist schließlich nicht alles negativ – queer zu sein hat viele positive Seiten. Der Pride-Monat trägt ja nicht umsonst seinen Namen. Pride ist Englisch für „Stolz“. Es sollte darum gehen, stolz auf seine Identität zu sein, statt immer nur rechtfertigen zu müssen, warum man auch ein Existenzrecht hat.

Wieso schreibe ich also stattdessen nicht darüber, was schön daran ist, queer zu sein? Die fröhlichen Menschenmengen, die beim CSD Liebe und Gleichberechtigung feiern und bunte Fahnen in die Luft halten. Das Gefühl, seine eigene Identität endlich zu verstehen und mit ihr im Reinen zu sein. Das Wissen, dass man damit nicht allein ist, sondern Teil einer großen, farbenfrohen Gemeinschaft. Die Momente der Verbundenheit, wenn man zufällig auf Menschen trifft, die auch queer sind. Die dicke Haut, die man sich mit der Zeit zulegt, wenn man alle blöden Sprüche und Vorurteile schon dreimal gehört hat.

So ungern es manch einer hören mag: Ich liebe es queer zu sein. Ich liebe die Menschen, die solidarisch mit meiner Community feiern. Ich liebe es, dass wir einmal im Jahr laut und bunt sind, bewusst Platz einnehmen und uns zelebrieren, anstatt angepasst und möglichst unauffällig durchs Leben zu gehen.

Queer-Sein bringt also trotz aller Herausforderungen auch wunderbare Momente mit sich. Diskriminierung und Ungerechtigkeiten sind allgegenwärtig, ebenso wie die vielen tollen Aspekte, die gefeiert werden sollten. Lasst uns zum Pride-Monat die negativen Seiten nicht vergessen, aber gleichzeitig die Liebe und das Leben feiern.

https://zeitungskiosk.nwzonline.de/titles/nwz/8389/publications/161634/pages/16/articles/2053414/16/2
squirrl87 yrs
Autorin dieser Kolumne ist Maike Schwinum vom Reporter-Team Soziales (Bild). Als lesbische Frau hat sie es sich zum Auftrag gemacht, Vorurteile aus dem Weg zu räumen und die Menschen freundlich, aber bestimmt über ihre Community aufzuklären. In „Queer-Format“ schaut die 32-Jährige aus queerer Perspektive auf die Welt und teilt ihre Gedanken – von persönlichen Erfahrungen bis hin zu aktuellen Entwicklungen.Sie erreichen die Autorin per Mail an maike.schwinum@nwzmedien.de
T***b
Ein guter Artikel, der sich dafür ausspricht, selbstbewusst für seine Identität zu werben.

Trotzdem: Ich habe so meine Schwierigkeiten mit dem Begriff „Stolz“. Warum soll ich auf etwas stolz sein, was ich überhaupt nicht beeinflussen kann? Ich bin nicht stolz darauf, ein Deutscher zu sein, aber auch nicht stolz darauf, schwul zu sein. Beides sind vom Schicksal festgelegte Tatsachen. Dass ich in Deutschland geboren bin, bezeichne ich als Glücksfall, der nichts mit Stolz zu tun haben sollte.

Wie gesagt, nicht den Inhalt des Artikels, sondern nur dieses Wort kritisiere ich. Wenn ich es trotzdem unbedingt verwenden müsste, so würde ich es eher einer Leistung oder einer Haltung zuordnen. Das Sprichwort „Dummheit und Stolz wachsen auf dem gleichen Holz“ hat für meine Begriffe schließlich auch mit der Überidentifikation der Rechten mit Deutschland bei gleichzeitiger Ausgrenzung von Minderheiten schon seine Richtigkeit.
K*******u
So würde ich "Stolz" auch verstehen, arden ! Wenn ich auf Etwas stolz bin, denn nicht auf das Land in dem ich nicht geboren bin, in dem zu leben trotz Allem aber immer noch ein Glücksfall ist. Geboren bin ich (und Du vermutlich auch) in einer Besatzungszone, bei mir war es die Britische. Stolz bin ich auf meine kleine Stadt Emden welche als ich hier in Ostfriesland geboren wurde, zum größten Teil zerstört war, die heute aber wieder ein ansehliches Touristenmagnet ist.
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squirrl87 yrs
Die CSD-Paraden werden auch Pride-Paraden gerannt. Ich marschiere da mit weil ich trotz einiger Angriffe stolz darauf bin schwul zu sein und dafür stehe ich dann auch ein.
K*******u
Nicht eher stolz darauf, dass wir als Schwule es geschafft haben und so weit in unserer Gesellschaft zu behaupten, Walter ? Aber da kommt auch gleich die Sorge, dass die Gesellschaft sich noch mal für uns negativ verändern könnte.
squirrl87 yrs
Der Unterschied für mich ist, früher habe ich mich als Schwuler versteckt. verleugnet, heute stehe ich zu meinem Schwulseiin und zeige mich, z- Bsp. beo schulen Veranstaltungen und besonders beim CSD.
T***b
Alles gut. Es gibt wichtigere Dinge, als hier eine Grundsatzdebatte aufzumachen. Aber wenn es denn unbedingt wieder einmal ein englischer Ausdruck sein muss, dann sollte man statt „pride“ „brave“ verwenden. Dann könnten alle zufrieden sein, denn das ist genau der Ausdruck für deine Haltung.
Übersetzung von „brave“ = mutig sein, trotzig sein, die Stirn bieten.
Übersetzung von „pride“ = der Stolz.
K*******u
Eigentlich gut, arden, nur wenn Leute "brave" in Deutsch verstehen, denn sind wir "brave Jungs" , oder bei uns eher "brave alte Knaben" das klingt auch blöd !   
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